Der Prager Frühling - Vorspiel

Einleitung

Mit dem Tod Joseph Stalins im Jahr 1953 wurde der erste Grundstein für die tiefgreifenden Ereignisse in der Tschechoslowakei[1] im Jahr 1968 gelegt, die die Vorgeschichte der Wende 1980 beschreiben. Diese Ausarbeitung beschäftigt sich mit den Wochen vor dem Ereignis des Prager Frühlings 1968 in der Tschechoslowakei, mit besonderem Fokus auf Prag. Doch wie wurden die Ereignisse im Vorfeld des Prager Frühlings in der westdeutschen Presse wiedergegeben und konnte man die nächtlichen Geschehnisse in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 vielleicht schon vorausahnen? – Eine Ausarbeitung am Beispiel der RheinZeitung.

In den folgenden Kapiteln dieser Arbeit soll es vor allem um drei verschiedene Themenbereiche gehen, die die Wochen vor der Niederschlagung des Prager Frühlings im Wesentlichen bestimmt haben. Erstens wird das beendete Stabsmanöver der Truppen des Warschauer Paktes[2] in der ČSSR thematisiert, die auch nach Vollendung desselben nicht aus dem Land abzogen, außerdem ein weiteres geplantes Manöver in den Grenzgebieten der Tschechoslowakei. Zweitens geht es um die ersten vorsichtigen Beziehungen der Tschechoslowakei zur BRD[3], die noch vorzugsweise unter Verschluss abliefen, deren negativen Auswirkungen auf die Beziehung der Tschechoslowakei zu den restlichen Ostblockstaaten sich jedoch deutlich in den Berichten der Rhein-Zeitung wiederspiegelten. Drittens bestimmten die Gipfeltreffen der Mitglieder des Warschauer Paktes eine Großzahl der Zeitungsartikel. Diese Zusammenkünfte beschäftigten sich größtenteils mit der aktuellen Lage in der ČSSR sowie mit dem Ziel der tschechoslowakischen Regierung, eine Aussprache mit der UdSSR zu erzielen.
Diese Art von Aufbau eignet sich deshalb besonders gut, weil die aufgeführten Angelegenheiten immer wieder zwischen dem 4. Juli und dem 19. August aufgegriffen wurden und die Lag, ebenso wie die Stimmung in und um Prag maßgeblich beeinflusst haben. Es fällt somit leichter, aspektorientiert vorzugehen und die Themen gesondert zu betrachten, als eine zeitliche Reihenfolge der Zeitungsartikel in der Ausarbeitung beizubehalten.


 

 Historischer Kontext und Einordnung

Nach dem Führungswechsel an der Sowjetspitze hin zu Chruschtschow sowie einer Ostblock-Krise in den 60er Jahren, die nicht nur ökonomischen, sondern auch gesellschaftlichen Ursprungs war, gab es in der tschechoslowakischen Bevölkerung Bestrebungen, das entstandene Machtvakuum in der UdSSR[4] auszunutzen und auf Grundlage einer sozialistischen Verfassung von 1960 den Kommunismus menschlicher und demokratischer zu gestalten.[5]

Am Ende des Jahres 1967 kam es zu einem Studentenaufstand in der ČSSR, in dem vor allem die früheren slowakischen Bürgerinnen und Bürger mehr Mitsprache forderten. Doch auch der große Wunsch nach mehr wirtschaftlichen Freiheiten und Meinungsfreiheit wurde durch die ganze Bevölkerung des Landes vertreten. Dieser Aufstand wurde jedoch gewaltsam von dem Ersten Sekretär des Zentralkomitees für Verteidigung und Sicherheit (ZK) Novotny blutig niedergeschlagen. Dieser Schritt sorgte für einen großen Aufschrei in der Bevölkerung und leitete einen Regierungswechsel am 6. Januar 1968 ein, in dem Alexander Dubček das Amt von Novotny übernahm.

Im Frühjahr 1968 versuchte die Tschechoslowakische Kommunistische Partei (KSČ) unter Dubček, die Erstarrung des Sowjetkommunismus in der ČSSR zu brechen und neue, demokratischere Wege zu beschreiten. Ziel war der „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“[6]. Diese Politik, die nach Jahren der wirtschaftlichen Erstarrung und der enormen politischen Bevormundung seitens der Sowjetunion für mehr Freiheiten in Politik, Wirtschaft und Kultur sorgen sollte, begeisterte breite Massen der tschechoslowakischen Bevölkerung. Der Begriff „Tauwetter“ steht bis heute noch symbolisch für die Hoffnung auf eine Art politischen Frühling.[7] Diese nationale Bewegung und die Emanzipation der ČSSR, die der entscheidende Faktor für den Beginn des Prager Frühlings war, stellten jedoch in den Augen der UdSSR und anderer Staaten des Warschauer Paktes eine Bedrohung für die Einheit des Ostblocks dar.

 


 

 Stabsmanöver in der ČSSR - „Prag wird die Panzer nicht los!“

 Inhaltsangabe und Analyse

Das erste Mal wird das Stabsmanöver in der Tschechoslowakei am 4. Juli 1968 erwähnt, als die Truppen des gerade beendeten Manövers laut Rhein-Zeitung das Land in den nächsten zwei bis drei Tagen verlassen sollten.[8] Doch die Überschrift „Sowjets noch bis zum Herbst in der ČSSR?“ gibt Rückschluss darauf, dass das genaue Datum des Abzuges noch gar nicht bekannt war und die Pläne hierfür erst noch ausgearbeitet werden mussten.[9] Es wurde also nicht ausgeschlossen, dass die Truppeneinheiten des Warschauer Paktes noch bis zum Herbst im Land bleiben könnten. In den nächsten Tagen wurde das Manöver nur ein einziges Mal erwähnt, als die Sowjetunion am 7. Juli verlauten ließ, das Manöver habe die ganze Situation in Prag verschlechtert.[10]

Immer wieder wurden die Abzugsbewegungen eingestellt und abermals aufgenommen. Gründe dafür waren meistens Besorgnis oder Ärger von Seiten der UdSSR über die sich entwickelnde Situation in Prag sowie Befürchtungen über Liberalisierungstendenzen, die in den restlichen Staaten des Ostblockes verhindert werden sollten.[11] Diese Entwicklungen zogen sich noch über mehrere Wochen hin, doch schon am 22. Juli wurde über ein weiteres Grenzmanöver in der ČSSR berichtet, an dem vor allem Truppen der Sowjetunion beteiligt sein sollten[12].

Am 24. Juli waren alle Truppen und Panzer des ersten Manövers aus den Gebieten des Landes abgezogen, doch der Druck auf die Tschechoslowakei wurde dennoch aufrecht erhalten, als das neu geplante Grenzmanöver nach einigen Überlegungen doch stattfand[13]. Dieses Sowjetmanöver wurde in den nächsten Tagen weniger betitelt, denn die Ereignisse wurden dann von dem immer näher rückenden Spitzentreffen zwischen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei überschattet.

 

 

 Interpretation der Zeitungsartikel

Was genau beabsichtigte die UdSSR mit der Durchführung der zwei Stabsmanöver in der ČSSR? War der Einmarsch lange zuvor geplant und waren die schon stationierten Truppen und Panzer des „Schwarzen Löwen“[14] nur eine taktische Hilfe für die Niederschlagung des Prager Frühlings?

Fest steht: Die beiden Stabsmanöver und die sich in die Länge gezogene Abzugsbewegung der Truppen des ersten Manövers waren ein deutliches Druckmittel der Staaten des Warschauer Paktes auf die Verhandlungen mit der Tschechoslowakei und dessen war sich die ČSSR auch durchaus bewusst, denn am 8.Juli nahm die tschechoslowakische KP zu dem ersten Pakt-Manöver Stellung. „Die jüngsten Stabsmanöver des Warschauer Paktes in der ČSSR hätten die Dinge für die neue tschechoslowakische Führung angesichts der schwierigen innenpolitischen Situation nicht leichter gemacht. Das Gegenteil sei der Fall. Die Tschechoslowakei habe ihre Zustimmung zu den Manövern gegeben, weil sie es für richtig erachtet habe, den Freunden wie den Feinden des Landes klar zu zeigen, „wo wir außenpolitisch und militärisch stehen“, berichtet die Rhein-Zeitung über einen Kommentar von Cestmir Cisar.[15]

Da nun offensichtlich zu diesem Zeitpunkt die Einigung zwischen der ČSSR und der Sowjetunion noch weit entfernt waren, waren sich die übrigen Staaten des Warschauer Paktes, vor allem aber die UdSSR mit Sicherheit im Klaren darüber, dass bei einem Angriff auf die Tschechoslowakei zur Unterdrückung der Reformbewegungen die stationierten Truppen im Land in jedem Fall eine Erleichterung für dieses Vorhaben darstellten.

Bemerkenswert ist, dass die Tschechoslowakei weiterhin auf ihrem Kurs beharrte, auch als das sowjetische Parteiorgan „Prawda“ immer wieder Angriffe unter dem Motto „Attacken gegen die sozialistischen Grundlagen der Tschechoslowakei“ führte, und die Abzugsbewegungen wegen diverser Unklarheiten ständig zum Stocken kam.[16] Eine Ursache dafür kann durchaus sein, dass die ČSSR oft gar nicht über die Truppenbewegungen informiert wurde und man in Prag häufig ebenso wie in Westdeutschland unsicher war, ob und wie viele Truppen noch im Land sind.[17] Doch auch ein Artikel am 19. Juli, der über einen Kommentar von Dubček berichtete, zeugt von Selbstbewusstsein seitens der Tschechoslowakei: „Die tschechoslowakische KP-Führung hat am Donnerstag mit Nachdruck den Vorwurf der „Konterrevolution“ in der ČSSR zurückgewiesen und keinen Zweifel daran gelassen, dass sie dem mit der Demokratisierung eingeleiteten neuen Kurs fortsetzen will.“[18] Ob das im eigenen Land genauso wahrgenommen wurde, ist jedoch unklar.

Zusammenfassend sah die Redaktion der Rhein-Zeitung zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Gefahr für den weiteren Kurs der Tschechoslowakei. Man muss allerdings erwähnen, dass die westdeutsche Presse sicherlich keinen uneingeschränkten Zugang zu Informationen im Osten hatte und viele Artikel nur mit dem Kommentar „Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen […]“[19] versehen wurden, deren Aussagewert und Inhalte also demnach nicht immer zu 100 Prozent dem genauen Sachverhalt in den Ländern entsprechen mussten.

 

 

 

 Die ersten Beziehungen der Tschechoslowakei zur BRD

 Inhaltsangabe und Analyse

„Der Beitrag der Tschechoslowakei zur Wiedervereinigung Deutschlands“ lautet der Titel dieser Ausarbeitung. Doch bis es zu diesen diplomatischen und freundschaftlichen Verhältnissen kommen konnte, war es ein langer Weg, den beide Länder im Jahr 1968 gerade erst anfingen zu beschreiten.

Am 5. Juli diesen Jahres hielt die Tschechoslowakei diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik noch gar nicht für notwendig und von dem erwünschten Besuch des damaligen Außenministers Willy Brandt in Prag erhoffte man sich noch ganz andere Ziele als eine tiefgreifende Freundschaft.[20] Dennoch luden die Politiker der ČSSR Brandt herzlich nach Prag ein, wenn der eigentliche Besuch auch unter Verschluss gehalten werden sollte und es seitens Prags erwünscht war, den Aufenthalt als inoffiziell geschehen zu lassen.[21]

Auch von Seiten der BRD gab es deutliche Annäherungsversuche und Unternehmungen, die angespannte Lage im ganzen Ostblock ein wenig zu entspannen und zwischen den einzelnen Ländern zu vermitteln. Am 9.Juli berichtete die Rhein-Zeitung, dass die WEU[22] eine Sitzung abgehalten habe, in der über die Friedensordnung in Europa diskutiert wurde. Die politischen Geschehnisse in Bonn durchleuchtete die Sowjetpolitik gründlich und entwarf für die UdSSR ein Angebot eines Gewaltverzichtsabkommens, das jedoch sofort abgelehnt wurde.[23] In der folgenden Zeit unternahmen diverse deutsche Politiker wie Genscher[24] und Scheel[25] Reisen nach Prag und berichteten über Zusammenkünfte mit tschechoslowakischen Politikern. Die meisten Reisen galten als privat initiiert.

Auch als es um die Durchführung des Grenzmanövers „Schwarzer Löwe“ ging, kamen Bonner Politiker zusammen und berieten über die Durchführung, an dem auch deutsche Truppen teilnehmen sollten, weil das Stattfinden dieses Manövers aus ihrer Sicht noch mehr Schwierigkeiten und Probleme in der ČSSR verursacht hätte.“[26]

Die Kontakte der Tschechoslowakei zu Deutschland gerieten nach einem Waffenfund in Karlsbad[27], von dem die Rhein-Zeitung am 20./21. Juli berichtete, immer schärfer in das Visier der UdSSR. Nun lag es an Prag, sich konsequent gegen Vorwürfe einer diplomatischen Beziehung zum Westen zu wehren. Schon am 23. Juli erhielt Prag eine offizielle Note aus Moskau, die Prag wegen des Waffenfundes zur Rechtfertigung aufforderte.[28]

Daraufhin hielt sich Deutschland- auch auf den Rat von Brandt- in Sachen ČSSR erst einmal zurück. Dennoch die Verhandlungen über ein Gewaltverzichtsabkommen mit der Sowjetunion fortgeführt.[29] Jedoch wurde auch diese Thematik von den wichtiger werdenden Nachrichten über das stattfindende Gipfeltreffen zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion immer häufiger verdrängt.

Die künftigen Beziehung zwischen der Tschechoslowakei und der BRD waren ebenfalls ein wichtiges Thema der Karlsbader Gespräche vom 12. August. Zwei Tage darauf berichtete die Rhein-Zeitung von einem Artikel des „theoretischen Prager KP-Organs „Nova Mysl“, in dem der Außenministers Jiri Hajek ein Lob gegenüber der Bundesrepublik für ihre „positiven und realistischen Tendenzen“ ausspricht.[30]

Nachdem am 16. August ein neues Freundschafts- und Beistandsabkommen zwischen der ČSSR und Rumänien unterzeichnet worden war, verkündete Alexander Dubček öffentlich vor Arbeitern der Avia-Fabrik in Prag, dass die ČSSR „alles tun wird, um die deutsche Frage einer Lösung zuzuführen“[31]. Man dürfe zwar die revanchistischen und neonazistischen Tendenzen weder unter- noch überschätzen und man müsse gegen sie vorgehen, doch man solle die demokratischen Kräfte Westdeutschlands unterstützen.[32]

Aus Prager Sicht steht „der Verstärkung wirtschaftlicher und anderer Beziehung zwischen den beiden Ländern nichts entgegen", wie die Rhein-Zeitung am 19.August berichtet. Doch im Gegensatz dazu, gibt der tschechoslowakische Außenminister Hajek zu verstehen, dass volle diplomatische Beziehungen zwischen Prag und Bonn „noch sehr weit entfernt sind"[33].

 

 

Interpretation der Zeitungsartikel

Auch wenn der Beitrag der Tschechoslowakei zur Wiedervereinigung Deutschland in diesen Artikeln noch keine Erwähnung findet, muss man den ersten geknüpften Kontakten zwischen den beiden Ländern dennoch eine große Bedeutung zumessen und diese als einen kleinen Anfang für eine große Wende in der Geschichte Deutschlands sehen. Gerade für die damalige Zeit nach dem zweiten Weltkrieg stellten die Kontakte zur BRD auf der einen Seite erste Abgrenzungen der ČSSR gegenüber der Sowjetunion dar, auf der anderen Seite waren die Beziehungen zur Tschechoslowakei für Bonn eine große repräsentative Vertrauensfrage. Nach den Ereignissen der Kriegsjahre stellten sie eine Aufarbeitung des neonazistischen und revanchistischen Bildes Deutschlands in anderen Ländern dar.[34]

Anfänglich waren die Kontakte nach Deutschland eine große Hürde, da diese in den restlichen Ostblockstaaten negativ bewertet wurden und immer wieder versucht wurde, der Tschechoslowakei von einer Verbindung zur BRD abzuraten. Doch dieser Fall ist ein Paradebeispiel dafür, dass aus einem Gedanken, der am Anfang noch unterdrückt wurde, solche bedeutenden Ereignisse wie die im Jahr 1989 entstehen können, gerade weil diese Zäsur der Wiedervereinigung in der deutschen Geschichte bis heute Spuren hinterlassen hat.

Auch das macht das heutige Tschechien und seine Geschichte erst im Nachhinein besonders, obwohl man dies im Jahr 1968 noch nicht erwartete und man sich in beiden Ländern noch sehr zurückhielt.

 

 

 

Die Treffen der Staaten des Warschauer Paktes und das erwartete Gipfeltreffen zwischen der Tschechoslowakei und der UdSSR

Inhaltsangabe und Analyse

Von Anfang an betrachteten die anderen Ostblockstaaten die Entwicklung in der ČSSR als einen störenden Unruhefaktor, an dem sie trotz aller Warnungen und hohem Druck auf das Land ohne ein militärisches Eingreifen relativ wenig verändern konnten, denn die Politik und die Bevölkerung waren, laut Rhein-Zeitung, bereits einen großen Teil des Weges zur Verbindung von sozialer Gerechtigkeit und politischer Demokratie gegangen.[35]

Warschau, Moskau und Ostberlin äußerten in verschiedenen Briefen an die Partei unter Alexander Dubček eine deutliche Unzufriedenheit und Besorgnis über die Entwicklungen in der Tschechoslowakei, so wie die Rhein-Zeitung am 8.Juli berichtete.[36] In den folgenden Tagen wurden seitens der ČSSR immer wieder Treffen mit diversen kommunistischen Parteien aus der UdSSR, Bulgarien, Polen, Ungarn und der DDR von der UdSSR angestrebt, um innen- und außenpolitische Fragen zu klären.[37] Außerdem soll Prag sich selbst zu den aktuellen Ereignissen im Land äußern. Inhalte der unterschiedlichen Diskussionen zwischen der ČSSR und der UdSSR waren außerdem immer noch Unklarheiten über den Truppenabzug in der Tschechoslowakei.

Erste Verhandlungen gab es erstmals am 15.Juli unter den Mitgliedern der „Warschauer Fünf“[38], als diese offiziell erklärten, dass sie die Ausscherung der ČSSR befürchteten. Liberalisierungstendenzen in den eigenen Ländern zu verhindern, sahen die Ostblockstaaten jetzt als oberste Priorität.[39] Zusammen verfassten die Staaten einen Brief an Prag, dessen Inhalte in der Rhein-Zeitung jedoch unerwähnt blieben.

Nachdem die Truppen des Warschauer Paktes abgezogen waren, kam es erneut zu einem „Sowjet-Manöver vor Prags Haustür“, das bis zum 10. August andauerte und Druck auf die tschechoslowakischen Besprechungen ausüben sollte, wie die Rhein-Zeitung am 24. Juli berichtete.[40]

Am 26. Juli zeigte der Artikel „Weiterhin Rätselraten um ,Gipfel‘ in der ČSSR“, dass die angekündigten sowjetisch-tschechoslowakischen Gipfelgespräche jedoch immer noch nicht begonnen hatten. Zusätzlich war die Nachricht aus Moskau zu vernehmen, mit der Ankündigung eines Luftabwehrmanövers in der UdSSR[41]. Darüber hinaus gab es neue Warnungen aus Moskau und Budapest an die tschechoslowakischen Reformer. [42]

Die Verhandlungen zwischen den sowjetischen und tschechoslowakischen Parteiführern, die schließlich auf Montag, den 29. Juli angedacht wurden, sollten unter strengster Geheimhaltung in einem Sonderzug in der Slowakei nahe der ukrainischen Grenze abgehalten werden und einen Tag in Anspruch nehmen.[43]. Dubček, der die gesamte Unterstützung seines Volkes erhielt, hatte schon einen Tag zuvor mit dem Parteipräsidium über die „Marschroute“ bei den Gesprächen in Moskau beraten und „einmütige Zustimmung“ erhalten.[44]

Die Aussprache zwischen den Parteispitzen der UdSSR und der ČSSR über den „Moskau beunruhigenden Demokratisierungsprozess in der ČSSR“ wurden am 29. Juli in einem Kino in der ostslowakischen Kleinstadt Cierna aufgenommen.[45] Die Gespräche wurden zwar am nächsten Tag fortgeführt, doch überschattete die Nachricht von der Ausdehnung gegenwärtig stattfindenden sowjetischen Manövern auf Gebieten Polens und der DDR die zweite Gesprächsrunde in Cierna. Über den Verlauf der Gespräche wurde ebenfalls nichts bekannt, da sie unter, wie es die Rhein-Zeitung nannte, „ ,Eisernem Vorhang‘ der Geheimhaltung" liegen[46]. Schon am nächsten Tag wurden in Mitteldeutschland „umfangreiche Bewegungen von Truppen der Sowjetunion und der DDR in Richtung tschechoslowakischer Grenze" beobachtete. [47]

Bereits am nächsten Tag wurde von einem ersten Ergebnis der viertägigen Verhandlungen berichtet. Bei diesem Ergebnis handelte es sich um eine eintägige gemeinsame Konferenz der Parteiführungen der fünf „orthodoxen“ Ostblockstaaten und der Tschechoslowakei im August

in der slowakischen Hauptstadt Preßburg (Bratislava)[48], über deren Inhalte allerdings noch einen Tag zuvor Unklarheit herrschte. [49]

 

 

 Interpretation der Zeitungsartikel

Die meisten Zusammenkünfte zwischen den Staaten des Warschauer Paktes, abgesehen von der Information darüber, wer genau daran beteiligt war, unterlagen strengster Geheimhaltung. Meist wurde im Vorfeld nur über Ort und Zeit berichtet, jedoch gab es keine genaueren Angaben zu den Gesprächsthemen und Vereinbarungen, die auf den Konferenzen ausgearbeitet wurden. Viele der Treffen wurden eingeleitet, um offene Fragen in der weiteren Entwicklung der ČSSR zu klären oder um Unstimmigkeiten im weiteren Vorgehen der anderen Pakt-Mitglieder zu beseitigen, z.B. bezüglich der verschiedenen Manöver und der Abzugsbewegungen, die dazu genutzt wurden, um deutlich Druck auf die Tschechoslowakei auszuüben.

Obwohl zahlreiche Treffen angedacht waren, wurden diese mehrfach verschoben und hinausgezögert. Auffällig ist auch, dass die ČSSR in einige wichtige Verhandlungen, ihr eigenes Land betreffend, nicht mit einbezogen wurde, was von großen Differenzen und Illoyalität seitens der anderen Ostblockstaaten der ČSSR gegenüber zeugt. Somit liegt auf der Hand, dass eventuelle Pläne für eine Niederschlagung des Prager Frühlings schon im Vorfeld hätten geplant werden können. Oftmals gingen aus vielen der Treffen nämlich keine klaren Ergebnisse hervor. Stattdessen wurden wiederum Termine für erneute Gipfeltreffen vereinbart. Diese immer wieder stattfindenden Treffen hätten prinzipiell einen guten Nährboden für geheime Ausarbeitungen geboten, weil immer wieder Gespräche aufgrund angeblicher Unklarheiten neu aufgenommen oder ganz vertagt wurden. Denn als am 15. Juli ein Gipfeltreffen zwischen der DDR, Polen, Ungarn und Bulgarien festgelegt wurde, ein „Ausscheren“ der Tschechoslowakei in jedem Fall zu verhindern, kann man im Nachhinein deutliche Anzeichen dafür finden, dass die langen, immer wiederkehrenden Diskussionen zwischen den genannten Ländern nur deshalb stattfanden, um die Niederschlagung präziser zu planen.

Darüber hinaus sah es zwei Wochen vor der Niederschlagung des Prager Frühlings, nach den ersten Treffen zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, im Großen und Ganzen so aus, als ob es erste Annäherungen und Einigungen gab. Diese Illusion wurde durch zuversichtliche Zeitungsartikel genährt, die von hoffnungsvollen, Dubcek unterstützenden Tschechen berichteten und den Anschein machten, als ob Prag nicht von dem eingeschlagenen Kurs abweichen würde.

Dennoch macht die Rhein-Zeitung mit einigen Karikaturen ihre Sichtweise zu den Verhandlungen mehr als deutlich: Die Karikatur vom 29. Juli zeigte vor allem, dass die Tschechoslowakei als kleines Mädchen optimistischer Naivität in die Gipfelgespräche startete, wobei die UdSSR, als großer Bär dargestellt, der ČSSR in jeder Hinsicht klar überlegen ist.[50] Eine zweite Karikatur, nur wenige Tage später, zeigte das Spitzentreffen als eine Art „Spießrutenlauf“, in dem die ČSSR abermals bedrängt, nahezu wehrlos vor der Sowjetunion auf einen gemeinsamen Konsens hofft.[51]

Zusammenfassend kann festgestellt wurden, dass viele Ergebnisse der zahlreichen Gipfeltreffen nur verschönt oder gar ganz verheimlicht wurden und so den Stand der ČSSR besser darstellten, als er gegenüber ihrem großen Gegner, der UdSSR, tatsächlich war. Zwar wurde die tatsächliche Situation der Tschechoslowakei auch durch Karikaturen in der Rhein-Zeitung dargestellt, doch wird die realistische bestehende Gefahr, die von der Sowjetunion ausgeht, nie verschriftlicht und in Artikeln explizit zum Ausdruck gebracht.

 

 

 

 Gesamtfazit der Zeitungsartikel als Quellen

Wie kann man die dargestellten Zeitungsartikel nun schlussendlich bewerten? Hat die Rhein-Zeitung mit ihren Berichten eine gute Arbeit geleistet? Wie wurden die Ereignisse geschildert? Und hätte man den blutigen Niederschlag wirklich voraussehen können?

Abschließend kann man den Schluss ziehen, dass die Rhein-Zeitung so gut wie jeden Tag auf dem neuesten Stand der Dinge war und versuchte, diese auch möglichst genau und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Häufig fällt jedoch die „wohlwollende Neutralität“ gegenüber der ČSSR auf, die sich in diversen Formulierungen der Presse widerspiegelte.

Im Nachhinein ist ebenfalls festzustellen, dass aus heutiger Sicht offensichtlich wichtige „Puzzleteile“ nicht richtig zusammengefügt wurden und die Gefahr einer Niederschlagung bereits früh hätte erkannt und erwähnt werden können. Dies versäumte die Rhein-Zeitung deutlich. Die Bedrohung aus den anderen Ostblockstaaten wurde unterschätzt, obwohl man im Nachhinein vielleicht auch vermuten könnte, dass die westdeutsche Zeitung dies bewusst tat, um Unruhen und wilde Spekulationen zu umgehen!

Somit dürfte die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings eine für die BRD größtenteils unvorhergesehene Wende dargestellt haben, dessen Ausmaß in dieser Zeit noch gar nicht einzuschätzen war, obwohl die Rhein-Zeitung mit ihren Artikeln eine großartige Arbeit leistete!


Anhang

Quellenverzeichnis

1)      Rhein-Zeitung Nr.152, 4.Juli 1968, S1;; „Sowjets noch bis zum Herbst in der ČSSR?“

2)      Rhein-Zeitung Nr.152, 4.Juli 1968, S.2 „Breschnjew und Kadar warnen Prag“

3)      Rhein-Zeitung Nr.153, 5.Juli 1968, Diverse Artikel S1

4)      Rhein-Zeitung Nr.155, 8.Juli 1968, S.1; „Sowjets, Polen, DDR: Weg mit Prager Kurs!“

5)      Rhein-Zeitung Nr.156, 9.Juli 1968, S.1; „Prag: Bonn soll sich erklären“

6)      Rhein-Zeitung Nr.157, 10.Juli 1968, S.2; „Prag will Entwicklung erklären“

7)      Rhein-Zeitung Nr.159, 12.Juli 1968, S1; „Prag: Sowjet Truppen ziehen ab“

8)      Rhein-Zeitung Nr.160, 13./14. Juli 1968, S.2; „Prag lädt Kremlführer ein“

9)      Rhein-Zeitung Nr.161, 15.Juli 1968, S.1 und 2

10)  Rhein-Zeitung Nr.162, 16.Juli 1968, Diverse Artikel S.1

11)  Rhein-Zeitung Nr.163, 17.Juli 1968, S.1; „Welle der Sympathie für Prager Reformer“

12)  Rhein-Zeitung Nr.163, 17.Juli 1968, S2; Fortsetzung Quelle 11

13)  Rhein-Zeitung Nr.164, 18.Juli 1968, S1; „Neue Entwicklung in der ČSSR“

14)  Rhein-Zeitung Nr.165, 19.Juli 1968, S.1; „Reformer beharren auf ihrem neuen Kurs“

15)  Rhein-Zeitung Nr.165, 19.Juli 1968, S.2; Fortsetzung Quelle 14

16)  Rhein-Zeitung Nr.166, 20./21.Juli 1968, S.1; „Es gibt keinen Schritt zurück!“

17)  Rhein-Zeitung Nr.166, 20./21.Juli 1968, S.2; „Scheel berichtet über Pragreise“

18)  Rhein-Zeitung Nr.167, 22.Juli 1968, Diverse Artikel S.1

19)  Rhein-Zeitung Nr.167, 22.Juli 1968, S.2; „Prag wird die Panzer nicht los!“

20)  Rhein-Zeitung Nr.168, 23.Juli 1968, Diverse Artikel S.1

21)  Rhein-Zeitung Nr.169, 24.Juli 1968, Diverse Artikel S.1

22)  Rhein-Zeitung Nr.169, 24.Juli 1968, S.2; „Frenzel in der ČSSR gestorben“

23)  Rhein-Zeitung Nr.170, 25.Juli 1968, Diverse Artikel S.2

24)  Rhein-Zeitung Nr.171, 26.Juli 1968; S.1; „Weiterhin Rätselraten um „Gipfel“ in der ČSSR“

25)  Rhein-Zeitung Nr.171, 26.Juli 1968; S.2; Fortsetzung Quelle 24

26)  Rhein-Zeitung Nr.172, 27./28.Juli 1968, S.1; „Dubčeks Marschroute einstimmig gebilligt“

27)  Rhein-Zeitung Nr.172, 27./28.Juli 1968, S.2; Fortsetzung Quelle 26

28)  Rhein-Zeitung Nr.173, 29.Juli 1968, S.1; „Gipfeltreffen im Sonderwagen“

29)  Rhein-Zeitung Nr.174, 30.Juli 1968, S.1; „In der Slowakei werden die Weichen gestellt“

30)  Rhein-Zeitung Nr.175, 31.Juli 1968, S.1; „Vorsichtiger Prager Optimismus“

31)  Rhein-Zeitung Nr.175, 31.Juli 1968, S.2, „Truppenbewegungen zur ČSSR-Grenze“

32)  Rhein-Zeitung Nr.176, 1.August 1968, Diverse Artikel S.1

33)  Rhein-Zeitung Nr.177. 2.August 1968, Diverse Artikel S.1

34)  Rhein-Zeitung Nr.178, 3/4.August 1968, S.1; „Die Ostblockprominenz berät jetzt in Preßburg“

35)  Rhein-Zeitung Nr.180, 6.August 1986, S.1; „Prag will Tito im Triumph feiern“

36)  Rhein-Zeitung Nr.185, 12.August 1968, S.1; „Ulbricht bei Dubček, Tito stützt Reformer“

37)  Rhein-Zeitung Nr.186, 13.August 1968, Diverse Artikel S.1

38)  Rhein-Zeitung Nr.188, 15.August 1968, S.1; „Prag lobt die Deutschen“

39)  Rhein-Zeitung Nr.190, 17./18.August 1968, S.1; „Solange Warschau-Pakt gilt“

40)  Rhein-Zeitung Nr.191, 19.August 1968, S1; „Prag: Beziehungen zu Bonn noch sehr weit entfernt“

41)  Vgl Nolte,Hans-Heinrich; Kleine Geschichte Rußlands; Bonn, 2006; S. 315

42)  Vgl Bundeszentrale für politische Bildung/bpb; Informationen zur politischen Bildung, Tschechien; Nr.276/2002; S.16/ 17



[1] Auch: ČSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik)

[2] Bezeichnung für das Militärbündnis der Ostblockstaaten unter sowjetischer Führung. Die Gründung erfolgte 1955, Mitgliedsstaaten waren Albanien, die Sowjetunion, Bulgarien, die DDR, Polen, Rumänien, Ungarn und die ČSSR

[3] BRD: Bundesrepublik Deutschland; „Westdeutschland“

[4] UdSSR= Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

[5] Vgl. Quelle Nr.41

[6] Vgl. Quelle Nr.42

[7] Vgl. Quelle Nr. 43

[8] Vgl. Quelle Nr.1

[9] Vgl. Quelle Nr.1

[10] Vgl. Quelle Nr.4

[11] Vgl. Quelle Nr.7 und Nr.9

[12] Vgl. Quelle Nr.19

[13] Vgl. Quelle Nr.21

[14] Schwarzer Löwe: Name des zweiten (Grenz-) Manövers in der Tschechoslowakei

[15] Vgl. Quelle Nr.4

[16] Siehe Quelle Nr.7

[17] Vgl. Quelle Nr.10

[18] Vgl. Quelle Nr.14/15

[19] Vgl. U.a. Quelle Nr.11/12; Nr.18/19; Nr.26

[20] Vgl. Quelle Nr.3

[21] Ebd.

[22] WEU: Westeuropäische Union, Beistandspakt zwischen diversen europäischen Staaten, Gründung 1954

[23] Vgl. Quelle Nr.5

[24] Deutscher Politiker (FDP), Bundesminister des Innern/Auswärtigen

[25] Deutscher Politiker (FDP), Bundesminister des Auswärtigen

[26] Vgl. Quelle Nr.18

[27] Vgl. Quelle Nr.16

[28] Vgl. Quelle Nr.21

[29] Vgl. Quelle Nr.32

[30] Vgl. Quelle Nr.38

[31] Vgl. Quelle Nr.39

[32] Vgl. Quelle Nr.39

[33] Siehe Quelle Nr.40

[34] Vgl. Quelle Nr.39

[35] Vgl. Quelle Nr.42

[36] Vgl. Quelle Nr.4

[37] Vgl. Quelle Nr.9

[38] Fünf Staaten des Warschauer Paktes: Sowjetunion, Polen, Ungarn, Bulgarien und DDR

[39] Vgl. Quelle Nr.9

[40] Vgl. Quelle Nr.21

[41] Vgl. Quelle Nr.24

[42] Vgl. Quelle Nr.25

[43] Vgl. Quelle Nr.28

[44] Vgl. Quelle Nr.26

[45] Vgl. Quelle Nr.29

[46] Vgl. Quelle Nr.30

[47] Vgl. Quelle Nr.31

[48] Vgl. Quelle Nr.33

[49] Vgl. Quelle Nr.34

[50] Vgl. Quelle Nr.28 und Abbildung Nr.1

[51]Vgl. Quelle Nr.30 und Abbildung Nr.2