1938/39 Annexion des Sudetenlandes und die Übernahme der Resttschechei

Was die Zeitungen schrieben

„Der entfesselte tschechische Pöbel terrorisiert unter nicht nur stillschweigender Duldung, nein, sogar unter Mithilfe der staatlichen Organe die deutschblütige Bevölkerung in einer Weise, die sich in nichts unterscheidet von den furchtbaren Vorgängen der Septembertage…“[1], hieß es am 14. März 1939 in der Zeitung Nationalblatt - ein Konflikt in einer Entwicklung, von dem in deutschen Zeitungen nur sehr einseitig berichten: Auf der einen Seite die Deutschen, die von den Tschechen und deren Staat terrorisiert werden, auf der anderen Seite, die Tschechen, die glücklich über die Annexion ihres Staates durch die Deutschen.

Und so wurde als wenige Tage später die Wehrmacht in Tschechien einmarschierte, dieser Akt der militärischen Provokation im Nationalblatt so dargestellt: „Selbst die Tschechen haben sich festlich gekleidet am Straßenrand aufgestellt. Aus ihren Mienen und Gesprächen ist zu erkennen, daß sie mit großer Zuversicht in die Zukunft blicken“[2]. Diese unwahrscheinliche Reaktion der Tschechen muss man aber mit der der Deutschen vergleichen, die in krankhafter Verehrung Hitlers „Sieg-Heil“ - Rufe ausstießen und die Hakenkreuzflaggen schon kurz nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen über ihrem Haus hängen hatten[3].

„Wir haben immer gewußt, daß sie, mein Führer einmal zu uns kommen würden!“[4] stand dick gedruckt am 18./19. März 1939 in den Zeitungen. Die ganze Berichterstattung wird gut durch folgendes Zitat vom 17. März beschrieben: „[…], ist die staatsrechtliche Grundlage für das künftige Zusammenleben des deutschen und tschechischen Volkes geschaffen worden. Wieder einmal hat sich der Führer als der geniale Staatsmann erwiesen, der den Frieden zu retten weiß, ohne das darüber ein Schuß fiele“.[5]

 

 

Was wirklich geschah

Beinahe die gesamte Tschechoslowakei grenzte seit dem Anschluss Österreichs im März 1938 an das Deutsche Reich. Adolf Hitler, der die Sicherheit der deutschen Vorherrschaft in Ostmitteleuropa zum Ziel hatte und somit auch die Tschechoslowakei unter deutsche Kontrolle bringen wollte, musste handeln. Durch strategisches Geschick erreichte Hitler die Abtretung des Sudetengebietes an das Deutsche Reich, welche durch das Münchner Abkommen festgelegt wurde. Die Tschechoslowakei war dagegen machtlos und musste das Abkommen akzeptieren. Durch das Abkommen wurde ein eventueller Krieg verhindert, was das Nationalblatt Hitler zusprach, was diesen Vorfall vollkommen aus jedem Zusammenhang hob. Dieser Popularitätszuwachs kam selbstverständlich auch dem Ruf des Deutschen Reichs zugute. Nach dem Münchner Abkommen (30. September 1938) lagen nun alle Verteidigungsanlagen der Tschechoslowakei auf deutschem Staatsgebiet. Damit gab sich Hitler aber allem Anschein nach nicht Zufrieden, sondern er verfolgte weiterhin das Ziel, die Rest-Tschechei zu zerschlagen, da dies unumgänglich war, um die Angriffspläne gegen Polen und die Sowjetunion umzusetzen. Schließlich erreichte Hitler durch Drohungen, dass der slowakische Landtag am 14. März 1939 die staatliche Selbstständigkeit der Slowakei erklärte. Noch am selben Tag setzte Hitler seine Pläne erfolgreich fort und bestellte den Staatspräsidenten der Tschechoslowakei, Emil Hacha nach Berlin, den er vor die Wahl stellte: Entweder würde Hitler den Befehl geben die Tschechei von Wehrmachtstruppen besetzten und die Hauptstadt Prag bombardieren zu lassen, oder Hacha gäbe gleich nach und überließe das Tschechische Volk dem Deutschen Reich. Wegen Machtlosigkeit sah sich Hacha gezwungen, den Protektoratsvertrag zu unterzeichnen. Am frühen Morgen des 16. März begann der Einmarsch der Wehrmacht und damit die Verhaftung vieler deutscher Emigranten. Die Tschechen sahen die einmarschierenden Truppen als Feinde an, verachteten, verspotteten und protestierten gegen sie, wohingegen die Deutschen jubelnde Anhänger dieser Truppen waren. Daraufhin verkündete Hitler die Errichtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren und übernahm gleichzeitig den sogenannten Schutz der Slowakei, welche bereits Teil des Deutschen Reichs war. Hitler hatte mit der Zerschlagung der Rest-Tschechei die Regeln, die das Münchner Abkommen enthielt, gebrochen, was zur Folge hatte, dass Frankreich, Polen, Großbritannien, die USA und die Sowjetunion Hitlers Annexion verachteten und die kriegerischen Absichten der deutschen Außenpolitik den anderen Nationen erneut aufgezeigt wurden.

 

 

Wie passen die Worte der Zeitungen mit dem wirklichen Geschehen zusammen?

Das Nationalblatt von der Ausgabe Altenkirchen stellt sich offensichtlich auf die Seite der Deutschen, anstatt die Vorgänge neutral wiederzugeben, das könnte an der Gleichschaltung der Berichterstattung liegen. Mit der Überschrift „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert Deutsche“[6] aus der Ausgabe vom Dienstag, den 14. März 1939, wird sich urteilend gegen die Tschechen gewettert. Auf die Information, dass sich die Zustände in der Tschechoslowakei dauerhaft verschlechtern, folgt die Beschreibung: „ Der entfesselte tschechische Pöbel terrorisiert unter nicht nur stillschweigender Duldung, nein, sogar unter Mithilfe der staatlichen Organe die deutschblütige Bevölkerung in einer Weise, die sich in nichts unterscheidet von den furchtbaren Vorgängen der Septembertage…“[7].Weiter heißt es: „ Die niedrigen Instinkte und Leidenschaften sind wiederum entfesselt und toben sich gegenüber der deutschen Bevölkerung aus, die bereits wieder zahlreiche Opfer zu beklagen hat“[8]. Des Weiteren wird unzählige Male der Terror erwähnt, der von den „brutalen“ Tschechen ausgehe, die trotz deutscher Kooperationsbereitschaft, Frauen, Kinder und Männer trotzdem foltern und unterdrücken. Laut der Zeitung Nationalblatt sehe die Polizei bei all dem tatenlos zu und sei ebenfalls den Tschechen ausgeliefert („Vereinzelte Versuche der Polizei, die fast überall untätig zusah, einzugreifen, wurden von den tschechischen Demonstranten regelmäßig mit dem Absingen der Staatshymne beantwortet. Die Polizei muss dann jedes Mal die Ehrenbezeugung leisten und ist nicht in der Lage, ihre Pflicht zu tun“[9]). Darüber hinaus beschreibt das Nationalblatt übertrieben gefühlbetont, vor allem im Zusammenhang mit drastisch geschilderten Anschlägen, Unfällen, Überfällen mit Gummiknüppeln und Bajonetten, Verhaftungen und Morden, wovon die Deutschen betroffen seien. Das Nationalblatt schreibt: „Welch schlechtes Gewissen die tschechischen Staatsorgane haben, zeigt die Tatsache, dass der sehr gemäßigte und zurückhaltende Bericht über die Vorgänge, nahe vollständig der tschechischen Zensur zum Opfer gefallen ist“[10]. Somit wird der tschechischen Presse Verleumdung und gleichzeitig Betrug vorgeworfen. Die starke Wende macht die deutsche Presse erst nach dem Einmarsch der Truppen der Wehrmacht, es wird nicht mehr von den „bösen“ Tschechen geredet, sondern von Tschechen, die mit positiven Gefühlen in die Zukunft blicken („Selbst die Tschechen haben sich festlich gekleidet am Straßenrand aufgestellt. Aus ihren Mienen und Gesprächen ist zu erkennen, daß sie mit großer Zuversicht in die Zukunft blicken“)[11] oder von Tschechen, die eine Hoffnung darauf haben, dass es jetzt mit ihrem Land bergauf geht („Allenhalb äußert man die große Hoffnung, daß es jetzt mit der wirtschaftlichen Depression zu Ende sei und daß auch der wirtschaftliche Aufschwung im Rahmen des Großdeutschen Reiches für das Land Böhmen beginnen werde“)[12]. Diese Darstellungen vom 17., 18. und 19. März musste den Menschen damals doch, wenn sie dieselbe deutsche Zeitung noch vor wenigen Tagen gelesen haben widersprüchlich vorkommen. Man merkt ganz klar, dass man es hier nicht mit einer tschechischen Bevölkerung zu tun hat, die gerade erst besetzt wurde oder mit einer Bevölkerung die, wie in der Zeitung vom 14. März steht, deutschfeindlich ist. Geradezu lächerlich wird es, wenn gesagt wird, dass man beim Belauschen der Tschechen erfahren habe, dass diese sich sehr beeindruckt von der Wehrmacht zeigen.[13] Die meisten Völker würden ihre Besetzer eher beschimpfen als loben. Ein weiterer Grund, warum die Tschechen eher wütend auf die Deutschen waren, waren die neuen Gesetze, die von drei hohen Ministern der Reichsregierung und dem Führer beschlossen wurden, ohne dass ein tschechischer Staatsmann das Recht zur Mitspracheerhalten hätte.[14]

Es steht außer Frage, ob das deutsche Nationalblatt die Deutschen verteidigt und deren Fürsprecher ist. Dass die Deutschen teilweise mit „Wir“ in den Artikeln benannt werden, zeigt, dass eine persönliche Meinung durchaus vorhanden und das Nationalblatt parteiisch ist. Inwiefern es zu Propagandazwecken benutzt wurde, zeigt der schnelle Wechsel im Grundton innerhalb einer Woche. Das Nationalblatt sollte aufwiegelnd wirken, sodass weniger nach den Gründen des Einmarsches in die Tschechei gefragt wurde. Die unstabile Situation in der Tschechei wurde genutzt, um ein über alle Maße brutales Vorgehen gegen Deutsche vorzutäuschen und um so ins besondere dem Deutschen Reich einen Grund für ein Eingreifen zu liefern. Der Deutsche wird hierbei als der Geschundene dargestellt, der auf Rettung hofft, die er von den tschechischen Behörden nicht erhält. Nach dem Einmarsch der Truppen wird der Grundton milder, damit es zu keinen Racheakten der Deutschen an den Tschechen kommt. Insgesamt ist das Geschehen, die Übergriffe der Tschechen, so wie in der Zeitung dargestellt, zu stark übertrieben um so passiert zu sein zu können, wie ebenjene schildert. Die Deutschen werden nun jubelnd und als Befreite gezeigt und die Tschechen scheinen einem Großdeutschen Reich auch nicht abgeneigt zu sein. So wird die Stimmung der Leute mit Hilfe der gleichgeschalteten Presse zu Propagandazwecken beeinflusst.

 

 

Quellenangaben - Zeitungen:

  1. Nationalblatt 62, Jg. 10
  2. Nationalblatt 65, Jg. 10, Seite 1 und 2
  3. Nationalblatt 66, Jg. 10


[1] Nationalblatt 62,Jg.10, „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert   Deutsche“

[2] Nationalblatt 66,Jg.10, „Orkane des Jubels umbrausten den Führer – Triumphfahrt Adolf Hitlers durch Brünn – Ostmark dankt für ganz Großdeutschlands“ – „Unbeschreiblicher Empfang des Führers in der mährischen Hauptstadt und in Wien“

[3] Vgl. Nationalblatt 66,Jg.10, „Orkane des Jubels umbrausten den Führer – Triumphfahrt Adolf Hitlers durch Brünn – Ostmark dankt für ganz Großdeutschlands – Unbeschreiblicher Empfang des Führers in der mährischen Hauptstadt und in Wien“

 

[4] Nationalblatt 66,Jg.10, „Orkane des Jubels umbrausten den Führer – Triumphfahrt Adolf Hitlers durch Brünn – Ostmark dankt für ganz Großdeutschlands“ – „Unbeschreiblicher Empfang des Führers in der mährischen Hauptstadt und in Wien“

 

[5] Nationalblatt 65, Jg. 10, „Die deutschen Prags danken ihrem Retter – Reichsprotektor für Böhmen und Mähren – Autonomes Gebiet innerhalb des Deutschen Reiches“ – „Erlaß über die künftige staatsrechtliche Gestaltung des böhmisch-mährischen Raums/Der Führer verlies Prag“

[6] Nationalblatt 62,Jg.10, „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert   Deutsche“

 

[7] Nationalblatt 62,Jg.10, „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert   Deutsche“

 

[8] Nationalblatt 62,Jg.10, „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert   Deutsche“

 

[9] Nationalblatt 62,Jg.10, „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert   Deutsche“

 

[10] Nationalblatt 62,Jg.10, „Chaotische Zustände in der Tschechei – Tschechischer Mord-Pöbel terrorisiert   Deutsche“

 

[11] Nationalblatt 66,Jg.10, „Orkane des Jubels umbrausten den Führer – Triumphfahrt Adolf Hitlers durch Brünn – Ostmark dankt für ganz Großdeutschlands – Unbeschreiblicher Empfang des Führers in der mährischen Hauptstadt und in Wien“

[12] Nationalblatt 65,Jg. 10, „Hakenkreuzflaggen auf dem Pager Parlament – Wieder deutsche Laute“

[13] Nationalblatt 65,Jg. 10, „Hakenkreuzflaggen auf dem Pager Parlament – Als wenn nichts geschehen wäre …“

[14] Nationalblatt 65,Jg. 10 (S.2), „Vernünftige Neuordnung – Nationales Eigenleben des deutschen und tschechischen Volkes“